Dr. med. Stephan Rietiker ist seit drei Jahren Präsident von Pro Schweiz. Hier gibt er Einblick in sein überparteiliches Engagement zum Wohle der Schweiz und stellt Pro Schweiz und ihre Ziele vor. Ebenso spricht er über die Neutralitätsinitiative und erklärt, was der EU-Vertrag für die Schweiz bedeuten würde.

Sie sind Medtech-Unternehmer, Arzt, Oberst im Generalstab und ehemaliger kurzzeitiger Präsident des Fussballklubs Grasshoppers und seit drei Jahren Präsident von Pro Schweiz. Was hat Sie motiviert, ein politisches Amt zu übernehmen und was bedeutet es Ihnen?
Dr. med. Stephan Rietiker: Ich sehe meine Rolle nicht als politisches Amt, sondern als überparteiliches Engagement in Sachfragen, die für die Zukunft der Schweiz von grosser Bedeutung sind. Als völlig Unabhängiger kann ich Dinge frei von der Leber ansprechen, wo sich andere vielleicht zurückhalten müssen. Zudem möchte ich meine Dankbarkeit offenbaren, indem ich der Schweiz etwas von dem zurückgebe, das ich in meinem Leben erhalten habe.
Pro Schweiz ist noch eine junge Organisation. Wie ist sie entstanden?
Pro Schweiz entstand aus drei Organisationen, die sich vor drei Jahren vereinigten: der AUNS (Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz), der Gruppe EU-No und der Unternehmergruppe gegen einen EU-Beitritt. So entstand die mit Abstand grösste unabhängige Aktionsgruppe der Schweiz mit über 27’000 Mitgliedern.
Für welche Werte steht Pro Schweiz und wie hat sich der Verein seit der Gründung entwickelt?
Pro Schweiz setzt sich für eine neutrale, unabhängige, freie, souveräne und prosperierende Schweiz ein, die auf Augenhöhe mit anderen Ländern kooperiert. Wir wollen unsere direkte Demokratie erhalten und wehren uns vehement gegen einen bürokratischen Zentralstaat und setzen stattdessen auf Eigenverantwortung, Familie und Dezentralisierung.
Wie wird die Schweiz vom Ausland wahrgenommen und welchen Stellenwert hat sie innerhalb Europas?
Die Schweiz wird oft als Insel der Glückseligkeit wahrgenommen, aber gerade in der EU gelegentlich auch als Rosinenpicker. Das trifft nicht zu: wir arbeiten hart für unseren Erfolg und wehren uns gegen Zentralismus und Planwirtschaft, die wie in der EU zu sehen ist, zusehends ins Verderben führt. Für einige europäische Parteien dient die Schweiz bzw. das Schweizer Modell als Vorbild, und gerade diesen Umstand sollten wir uns vermehrt zunutze machen.
Pro Schweiz hat die Neutralitätsinitiative lanciert und bereitet zurzeit den Abstimmungskampf vor. Was will die Initiative?
Ich korrigiere: ein unabhängiges, überparteiliches Komitee hat die Initiative vor der Gründung von Pro Schweiz lanciert. Pro Schweiz hat nach der Gründung beschlossen, die Neutralitätsinitiative in enger Zusammenarbeit mit dem Initiativkomitee proaktiv zu unterstützen. Die Initiative will die immerwährende, bewaffnete Neutralität in der Verfassung festschreiben und dem Bundesrat klare Leitplanken bei deren Durchsetzung geben. Die Leitplanken drücken den Willen des Volkes aus und geben dem Bundesrat Rückhalt und Stärke!
Wie steht es momentan um die Neutralität der Schweiz?
Unsere Neutralität ist nur so gut, wie sie von Dritten wahrgenommen wird. Durch die unbedachten und vorschnellen Aktionen gerade von Bundesrat Cassis im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg hat unsere Neutralität massiv gelitten. Weder die USA noch Russland sehen uns heute noch als neutral an, was eine Katastrophe ist. Hier müssen wir unbedingt wieder auf den Pfad der Tugend zurückfinden: Gradlinigkeit, Berechenbarkeit und Verlässlichkeit sollen fortan unsere Richtschnur sein und nicht unüberlegte Kurzschlusshandlungen.
Das neue Rahmenabkommen mit der Europäischen Union, das heute in Form eines Verhandlungspakets neu formuliert wurde, enthält für Pro Schweiz diverse Fallstricke. Was sind Ihre Hauptargumente gegen den EU-Vertrag?
Das sogenannte Rahmenabkommen ist weder bilateral noch auf Augenhöhe, sondern bedeutet eine Unterwerfung der Schweiz unter die Obrigkeit der EU. Es ist nicht einzusehen, weshalb das Schweizer Volk derart weitreichende Einschränkungen der demokratischen Volksrechte hinnehmen muss, damit einige Unternehmen einen «präferenziellen Marktzugang» haben, den wir nicht benötigen. Mit dem Freihandelsabkommen von 1972 sowie den weiteren bilateralen Abkommen haben wir stabile Verhältnisse. Der «Unterwerfungsvertrag» würde alles destabilisieren und uns zudem Milliarden kosten. Setzen wir auf unsere eigene Stärke und arbeiten wir mehr und länger, setzen auf eine exzellente Ausbildung, entwickeln wir Nadelöhr-Technologien, die unsere Partner dringend benötigen und investieren wir nicht in ein bestenfalls mittelmässiges Horizon Programm der EU, sondern in unsere eigene Innovation. Lassen wir nicht zu, dass uns der freie Personenverkehr völlig entgleitet, sondern kontrollieren und kontingentieren wir denselben eigenverantwortlich und ohne EU Richter.

Wieso beissen sich die direkte Demokratie der Schweiz mit dem System der EU?
In den EU Staaten gibt es eine repräsentative Demokratie. Die Bürger wählen Volksvertreter für eine bestimmte Zeit (oft vier Jahre), die die Geschäfte vorantreiben. Dazwischen hat das Volk nichts zu sagen. Ganz anders in der Schweiz, wo das Volk über Referenden und Initiativen Fehlentscheide der Regierung bzw. des Parlaments jederzeit korrigieren kann. Diese Volksrechte würden durch eine Unterzeichnung des Rahmenvertrags massiv eingeschränkt, da fremde EU-Richter letztinstanzlich über unsere Köpfe hinweg entscheiden können. Das dürfen wir niemals akzeptieren.
Pro Schweiz setzt sich für eine weltoffene Wirtschaft ein. Was verstehen Sie konkret darunter?
Wir kapseln uns nicht ab, sondern streben Partnerschaften mit EU- Staaten aber auch Partnern in Asien, USA etc. an und wollen dabei auch Verantwortung übernehmen. In diesem Zusammenhang ist gerade unsere Neutralität sehr wichtig, um eine Vermittlerrolle in Konflikten zu übernehmen.
Sie sind Unternehmer. Mit der Juso-Initiative wird die Wirtschaft der Schweiz einmal mehr bedroht. Wieso ist dieses linke Vorhaben brandgefährlich für unsere Unternehmen?
Das ist eine typische marxistische Masche: Umverteilung und Planwirtschaft anstatt Förderung des Unternehmertums. Sollte die Initiative tatsächlich angenommen werden, so hätten manche Unternehmer gravierende Probleme mit der Erbfolge und könnten gezwungen sein, ihr Unternehmen zu verkaufen. Das kann es nicht sein. Die Initianten, die selber kaum arbeiten, wollen nicht verstehen, wie Wohlstand einer Gesellschaft erwirtschaftet wird. Eine ganz billige Selbstbedienungsmentalität, die ins Chaos führt.
Was wünschen Sie sich persönlich für die Schweiz?
Mehr Vertrauen in die eigene Stärke und die eigenen Werte. Anders zu sein als andere ist nicht primär schlecht, sondern auf dem Boden des Andersseins kann viel Gutes entstehen. Wir wollen kein Leuchtturm sein, sondern ein glaubwürdiger und verlässlicher Partner. Wir halten uns aus der Politik der grossen Töne heraus und verfolgen stattdessen die Politik der leisen Töne. Das ist gelebte Swissness.
Interview: Corinne Remund



