Der «gesellschaftliche Gewinn» ist nicht zu unterschätzen

    Die Eventgastronomie konnte diesen Sommer aufatmen – aber für wie lange?

    Die Gastronomiebranche – und speziell die Eventgastronomie – hat während der ersten Sommerwochen und besonders intensiv während den Fussball Europameisterschaften von den Öffnungsschritten profitiert. Das war auch dringend nötig, um viele Betriebe der Branche vor einem Konkurs zu retten. Nun, da die Zahlen wieder steigen, fängt das grosse Zittern erneut an. Wir haben ein kurzes Fazit gezogen mit Urs Kohler, CEO des Zic Zac in Basel/Allschwil und die Prognosen von Gastrosuisse und der Konjunkturforschungsstelle KOF zusammen getragen.

    (Bild: Shutterstock) Mitfiebern in kleinen und grösseren Gruppen. Der gesellschaftliche Aspekt ist nicht zu unterschätzen.

    Der Basler Epidemiologe, Malariaforscher und Public-Health- Experte Marcel Tanner (und anfangs in der Corona-Taskforce des Bundes impliziert) sagte in einem grossen Interview an dieser Stelle: «Massnahmen gegen Pandemien müssen sein, aber der soziogesellschaftliche Aspekt darf dabei nie vergessen werden.» Was er damit meint: Öffnungsschritte sind nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht wichtig, sondern beruhigen auch die Bevölkerung und verhindern eine Gewöhnung an eine gewisse Entfremdung. Marcel Tanner weiter: «Wichtig ist das Abwägen der Lockerungen. Denn man muss den Menschen auch Perspektiven geben. Klar ist, dass das generelle Risiko für eine Infektion jetzt noch immer existiert. Aber auf der anderen Seite ist die Lockerung gesellschaftlich auch ein Gewinn. Das soziale Gewebe und damit die Öffnungen tragen und prägen auch die Wirtschaft und selbstverständlich auch alle unsere Lebenswelten. Wichtig ist und bleibt, dass man die elementarsten Regeln gegen die Ansteckung, die Distanz und Hygiene weiter einhält. Der «Public Health» Kontext ist wichtig, denn man sollte nicht Wirtschaft gegen Gesundheit abwägen. In einem Public Healthkontext gehören beide Aspekte zusammen. Meine Botschaft ist: In einer Krise fordert man nicht, in einer Krise arbeitet man zusammen. Ich will auch weitergeben, dass man nicht zu sehr den Kontrast zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik sehen darf. Wenn wir zudem alle ein bisschen bescheidener werden und erkennen, dass wir nur miteinander weiterkommen, jede und jeder einfach sein Wissen und Erfahrungen einbringt und wir miteinander lernen und damit Verbesserungen erzielen, dann wird alles sehr viel besser.»

    Diese Aussagen spricht der Gastronomiebranche aus dem Herzen. Für Gastrosuisse ist die Situation vergleichbar zum Vorjahr, aber dank der Impfung sei die Ausgangslage sogar besser. Auch wenn man bald wieder eine Tagesquote von 1000 Ansteckungen pro Tag zu erwarten habe wegen der Delta- Variante. Damit die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben im Herbst nicht wieder eingeschränkt werden, gelte es jetzt besonders im Sommer die nötigen Vorkehrungen zu treffen.

    (Bild: Shutterstock) Für viele war es «5 vor 12» vom Timing her: Gastrobetriebe profitierten von den Öffnungsschritten des BAG.

    Auch die Konjunkturforschungsstelle KOF (Quelle: kof.ethz.ch/prognosen-indikatoren) schreibt: «Die Wertschöpfung, die mit dem Tourismus erwirtschaftet wird, betrug 2019 2.7 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung. Das mag zwar aus der Makroperspektive gering klingen, dennoch leistet der Tourismus in vielen Regionen in der Schweiz einen wichtigen Beitrag zur Beschäftigung und Wertschöpfung. Durch die raschen und umfangreichen staatlichen Kompensationen zur Abfederung der Auswirkungen der Pandemie ist die Struktur der Wirtschaft und auch der Tourismus- und Event-/Gastrobranche in der Schweiz weitgehend intakt geblieben. Dies dürfte ein nicht zu unterschätzender Vorteil sein, wenn die Nachfrage wieder anzieht. Ab Juni 2020 wurden die Pandemiemassnahmen zunehmend gelockert, und Beherbergungs- und Gastronomiebetriebe erlebten einen starken Anstieg der Gästezahlen. Diese kamen aber vorwiegend aus der Schweiz, während bei den Gästen aus den benachbarten europäischen Ländern ein beträchtlicher Rückgang verzeichnet wurde und die Gäste aus den Fernmärkten praktisch ausblieben. Insgesamt lag die Anzahl der Logiernächte in der Sommersaison 2020 um neun Millionen (40 Prozent) tiefer als 2019. Bei den Inländern, die traditionell etwa die Hälfte der Übernachtungszahlen generieren, gab es dagegen eine Zunahme um 630’000 (6.4 Prozent). Bei den ausländischen Gästen fiel der Rückgang der Fernmärkten um 96 Prozent kräftig aus.

    Wir haben uns an der Quelle erkundigt, wie es einem der bekannteren Eventgastronomen der Region in den letzten Wochen erging. Und zwar bei Urs Kohler, Geschäftsführer im Zic Zac Basel/Allschwil. Im Zic Zac finden sich traditionell seit Jahrzehnten anlässlich der interessantesten Fussballspiele an Europa- oder Weltmeisterschaftsturnieren eine Menge konsumierender Fans. Für ihn und für viele anderen kamen die Öffnungsschritte genau zum richtigen Zeitpunkt.

    (Bild: zVg) Ein erfahrener Eventgastronom: Urs Kohler, CEO Zic Zac Gastro AG.

    Herr Kohler, wie bilanzieren Sie die Euro 2020/21 aus Sicht eines Event-Gastronomen?
    U. Kohler: Bei den ersten Gruppenspielen war das Interesse an den Partien eher unterdurchschnittlich im Vergleich mit der Europameisterschaft 2016 beispielsweise.

    Nach dem Sieg der Schweiz gegen die Türkei hat sich dies aber schlagartig geändert. Das Interesse und die Euphorie war sofort wieder spürbar. Die wichtigsten Spiele, auch anderer Nationen, waren ab diesem Zeitpunkt praktisch immer ausgebucht. Das war für uns nicht unwichtig.

    Hat das Europameisterschaftsturnier die Gastrobetriebe gewissermassen «gerettet»?
    U. Kohler: Für viele Gastronomen, auch für uns, war es sicher ein willkommener Zusatzumsatz, den wir im 2021 gerne genommen haben. Die Freude unsere Gäste, wieder gemeinsam einen Event mitzuerleben und in grösseren Gruppen zu feiern war ausgenommen gross und spürbar. Ich bin unseren Besuchern des Public Viewings zudem auch dankbar, dass mit ganz wenigen Ausnahmen, die gegebenen Schutzkonzeptmassnahmen akzeptiert und eingehalten wurden.

    Jedoch: Nicht alle Gastrobetriebe konnten sich auf ihre wirtschaftliche Stabilität verlassen, die man sich aufgrund der Zeit vor der Pandemie erarbeitet hatte. Viele waren auch schon vor 2020 in einem wirtschaftlichen Überlebenskampf. Kein Wunder, bei dieser grossen Konkurrenz.

    Die Kantone Basel-Stadt und Baselland haben bisher knapp 72 Millionen Franken an die Gastrobranche ausbezahlt. Die von den Coronamassnahmen besonders gebeutelten Restaurants und Eventlokale waren die grössten Nutzniesser. Für viele waren die letzten Sommerwochen besonders wichtig für die Rettung des Betriebes.

    JoW, DaC

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